v.l.n.r. Adam Schütz, Matthias Schimpf, Peter Schmiedel, Daniel Maas, Stefanie Rhein und Bastian Strauss
Der unten stehende Text wurde gekürzt.
Teilnehmende:
Matthias Schimpf - Hauptamtlich Kreisbeigeordneter
Adam Schütz - Abteilungsleiter des Ausländer- und Migrationsamts
Daniel Maas - Sachgebietsleiter Team Flüchtlinge und Spätaussiedler
Peter Schmiedel - Stellvertretender Betriebsleiter des kommunalen Jobcenters Neue Wege
Stefanie Rhein - Direktorin des Caritasverbands Darmstadt e. V.
Moderation:
Bastian Strauss - Auszubildender des Kreis Bergstraße
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Moderator:
Können Sie sich vorstellen, dass etwas von den Inhalten der Vorträge, auf den Kreis Bergstraße zu übertragen?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Der Kreis Bergstraße ist nicht nur eine ländliche Region. Die Städte und Gemeinden zwischen der A5 und der A7 sind hervorragend erschlossen. Orte wie Grasellenbach dagegen, sind sehr ländlich und wir müssen beiden Situationen gerecht werden.
Vorranging müssen wir die Menschen, die zu uns kommen unterbringen und das muss allein aus organisatorischen Gründen in den Regionen zwischen der A5 und der A7 passieren, da wir dort die nötige Infrastruktur haben. Die Menschen kommen schnell in die Rathäuser oder zu einem Bildungsträger und unsere Leute kommen ebenfalls schnell dorthin.
In den ländlicheren Regionen des Kreises kann ich nicht so viele Menschen unterbringen. Beispielsweise können in Aschbach (Wald-Michelbach) keine Container für 1.000 Menschen aufgestellt werden, da sich dadurch die Einwohnerzahl verfünf- oder -sechsfaschen würde. Das wäre schwierig zu akzeptieren.
Gleichzeitig versuchen wir bereits Angebote außerhalb des zentralistischen Bereichs Heppenheim und Bensheim zu schaffen.
Außerdem stellte die Covid-Pandemie eine starke Belastung dar, da sich viele Ehrenamtliche dadurch zurückgezogen haben. Und dann kam die Ukraine-Krise: Im Kreis Bergstraße gibt es im Augenblick zwischen 3.000 und 3.800 Menschen, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind.
Sachgebietsleiter Team Flüchtlinge und Spätaussiedler Daniel Maas
Es sind zwischen 2.000 und 2.300 aktive Fälle in den Gemeinschaftsunterkünften und weitere Personen, die privat untergebracht sind.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind viele Menschen, die wir zusätzlich unterbringen müssen und sie haben ganz andere Fragen, als die, die wir bisher kannten. Wöchentlich kommen zu uns etwa 80 Personen – 65 bis 70 davon sind alleinreisende, junge Männer und die müssen wir erst einmal unterbringen.
Hinzu kommt, dass viele Menschen im Augenblick Existenzängste haben, da die Verbraucherkosten steigen und die Menschen Angst um ihren eigenen Lebensweg haben. Dadurch hat sich im Ehrenamt etwas Zurückhaltung breitgemacht.
Die dritte Herausforderung ist der starke Personalmangel. Wir benötigen mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um allein die Leistungsgewährung hinzubekommen und dabei sprechen wir noch nicht einmal von Betreuung und Integration.
Der angespannte Wohnungsmarkt führt außerdem dazu, dass wir im Augenblick Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind, ein Bleiberecht haben und erwerbstätig sind, nicht aus den Unterkünften herausbekommen und neben Mobilität gehört zur Integration auch selbstbestimmtes Wohnen und zwar nicht in den Gemeinschaftsunterkünften.
Wenn ich rein rechnerisch jeder Person zehn Quadratmeter Unterkunft angedeihen lassen muss, sind das bei 70 Personen pro Woche 700 Quadratmeter, die generiert werden müssen. Das sind Probleme, die andere Dinge wie die Betreuung und Integration in den Hintergrund treten lassen.
Ein großes Problem ist, dass wir zur Zeit Flüchtlinge erster und zweiter Klasse haben, die wir in unseren Einrichtungen trennen müssen. Die Menschen aus der Ukraine erhalten Leistungen nach dem SGB II und die anderen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und das ist deutlich weniger. Ungut ist, wenn man diese beiden Gruppen dauerhaft in einer Unterkunft hat.
Für die Ehrenamtlichen bedeutet das, dass sich der deren Hilfsangebot natürlich auch ändert. Das alles mit deutlich reduziertem Personal zu schaffen ist sehr, sehr herausfordernd und deswegen bin ich auch froh, dass auch heute wieder so viele da sind, die nicht müde werden, sich zu engagieren.
Aber zuletzt möchte ich noch sagen: Die Herausforderungen sind immens und sie sind deutlich, deutlich, deutlich schwieriger als 2015.
Moderator:
Gibt es einen stetigen Austausch mit kommunalen Akteuren bei der Gestaltung von Integrationsarbeit? Sind Sie denn mit Kommunen in Kontakt?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Wir haben unsere Koordinationsstelle Asyl – Ehrenamt, die mit ehrenamtlichen Initiativen vernetzt ist. Mit den Kommunen selbst tauschen wir uns in der Regel auf Dezernats- oder Bürgermeisterebene aus und wir reden bei konkreten Fragen auf der Fachebene miteinander.
Vor drei Wochen habe ich alle Kommunen angeschrieben und sehr deutlich darauf hingewiesen, dass der Kreis Bergstraße, die Menschen immer selbst untergebracht und sie nicht direkt den Kommunen zugewiesen hat. Zu diesem Deal gehört aber auch, dass sie sukzessive in die Kommunen überführt werden und dafür Wohnraum bereitgestellt werden muss, denn dort beginnt die Integration im Echtbetrieb
Ich bin seit 1. August 2022 im Amt und dieser zweite Schritt hat nicht funktioniert.
Um das zu lösen wird es drei Maßnahmen geben:
- Wir, als Kreis, können die Menschen, die zu uns kommen erst einmal selbst unterbringen.
- Die Kommunen müssen uns Flächen melden, auf denen wir Unterkünfte schaffen können.
- Die Kommunen selbst müssen sich um die Unterbringung der Menschen kümmern und gegebenenfalls Wohnraum schaffen.
Dort [in den Kommunen] gelingt dann auch die Integration. Der Kreis ist nämlich ein Rechtsgebilde, aber das Leben findet in den Kommunen statt.
Moderator:
Was halten Sie davon, auf Kreisebene ein Modell für migrantische Perspektiven einzuführen? Beispielsweise mit den Integrationsbeauftragten, den Bürgermeistern, Wohlfahrtsverbänden, dem Ordnungsamt, dem Einwohnermeldeamt und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Zivilgesellschaft.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Dann stellt sich die Frage, wie groß der Beirat werden soll. Das funktioniert nicht. Was jedoch funktioniert ist die Arbeit von unserer Integrationsbeauftragten. Sie ist mit allen Kommunen und relevanten Institutionen vernetzt und das läuft.
Außerdem haben wir eine sehr heterogene Struktur und die Kommunen sind unterschiedlich aufgestellt; monetär und hierarchisch. Wir brauchen kein Gremium das sagt „man müsste mal was machen“, denn meist passiert dann nichts.
Direktorin des Caritasverbands Darmstadt e. V. Stefanie Rhein
Ich glaube gar nicht, dass es einen großen Beirat braucht, aber wir müssen dahin kommen, die Bedarfe auch anders zu ermitteln.
Wenn man beispielsweise das Thema Sprachkurse für Frauen mit Kinderbetreuung nimmt. Dazu müssen wir mit den Trägern sprechen und sie fragen, welche Möglichkeiten sie haben und wir müssen dezentrale Strukturen schaffen, um der Mobilitätsfrage entgegen zu kommen.
Stellvertretender Betriebsleiter des kommunalen Jobcenters Neue Wege Peter Schmiedel
Ich bin ebenfalls kein Freund von zusätzlichen Beiräten und einem schönen letter of intent, der am Ende zu keinem Ergebnis führt. Wir müssen schauen, wo was läuft und wer welche Unterstützung braucht. Dadurch kommen wir ein großes Stück weiter.
Direktorin des Caritasverbands Darmstadt e. V. Stefanie Rhein
Durch die Koordinationsstelle Asyl – Ehrenamt, die Frau Inal besetzt, haben wir ein gutes Instrument geschaffen. Die Begleitung der Ehrenamtlichen ist notwendig und wurde eingefordert. Frau Inal hat mit denen, die sich engagieren, mit den Kommunen und mit der Kreisverwaltung einen guten Kontakt.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Ohne Ehrenamt funktioniert es nicht, da Integration nicht staatlich verordnet werden kann. Wir können lediglich Rahmenbedingungen setzten.
Allerdings hat die Pandemie vieles erschwert und die Angebote wurden zurückgefahren. Daher müssen wir jetzt wieder anfangen und aufbauen – alles jedoch unter erschwerten Bedingungen, also der schlechten Haushaltslage, der Finanzierung von Maßnahmen und den Schwierigkeiten mit der Unterbringung.
Diese Neumotivation von Ehrenamtlichen klappt aber nur vor Ort.
Als Politik und Verwaltung haben wir derzeit große Schwierigkeiten, da beispielsweise die Ausländerbehörde nicht regelmäßig dauerhaft erreichbar ist. Das Allerwichtigste ist, dass die Menschen ihr Geld bekommen, ihr Status geklärt ist und sie untergebracht sind. Alles andere ist eigentlich zweitrangig.
Abteilungsleiter des Ausländer- und Migrationsamts Adam Schütz
Ein Problem sind Sprachkurse für Frauen mit Kindern. Sie müssen zum Teil sehr lange warten, bis sie einen Kurs besuchen können. Was die Sache umso schwieriger macht ist, dass das Bundesamt eigene Vorgaben hat und die Zugänge zu den Sprachkursen regelt.
Dieser Punkt führt auch zu Unmut in den Gemeinschaftsunterkünften, da die Ukrainerinnen und Ukrainer sofort eine Zugangsberechtigung bekommen haben.
Außerdem gibt es bei der Menge an Menschen immer zu wenig Kurse und Corona hat die Situation zusätzlich erschwert, da nicht alle Träger online Kurse anbieten konnten und nicht alle Menschen, die technische Ausstattung haben.
Problematisch bei der Kurssituation ist immer der Odenwald, da dort oft nicht die nötigen Teilnehmerzahlen zusammenkommen und es gleichzeitig das Einzugsgebiet der Volkshochschule Weinheim ist.
Insgesamt sind wir bei der Kursvermittlung jedoch auf einem ganz guten Stand.
Direktorin des Caritasverbands Darmstadt e. V. Stefanie Rhein
Nachdem nun alle den Zugang zu einem Sprachkurs haben, können wir sicherlich auch im ländlichen Raum Kurse mit der entsprechenden Teilnehmerzahl anbieten.
Moderator
Wie bewerten Sie das zivilgesellschaftliche Engagement im Kreis Bergstraße? Werden die Helferkreise monetär und organisatorisch gut genug unterstützt?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Die monetäre Unterstützung könnte immer größer sein. Aber das gesellschaftliche Engagement im Kreis Bergstraße ist sehr hoch. Das haben wir 2015 erlebt und das erleben wir jetzt, wenn sehr viele Menschen aus der Ukraine zu uns kommen.
Dabei geht es weit darüber hinaus, dass lediglich eine Jacke gespendet oder einmal bei der Essensausgabe geholfen wird. Es gibt den Ansatz, strukturell nachhaltig helfen zu wollen, beispielsweise indem man den Zugewanderten den Weg in einen Verein öffnet.
Ebenso wurden die ersten Sprachkurse 2015/16 von Ehrenamtlichen durchgeführt und gleiches versuchen wir nun wieder für die Drittstaatler. Allerdings erschweren die Corona-Verordnungen das gerade, da in den Unterkünften registriert werden muss, wer wann kommt.
Aus dem Plenum
Gibt es denn Geld?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Wir haben, was die Unterbringung betrifft, gerade ein Defizit von annähernd 6 Millionen Euro. Die Länder bekommen vom Bund Geld, von denen Hessen etwa 37 Millionen an die Kommunen gibt. Das ist deutlich zu wenig.
Durch ein zweites Hilfspaket des Bundes erhält das Land 112 oder 116 Millionen Euro, das komplett an die Kommunen weitergeben wird, wie viel wir davon bekommen ist aber noch unklar. 2023 sollen die Länder wieder Geld vom Bund bekommen, von dem das Land 50 Prozent behalten wird.
All diese Einnahmen sind jedoch einmalige Hilfen und decken nicht die laufenden Kosten. Das Geld, das wir 2022 bekommen wird genutzt um die Schulden dieses Jahres und vielleicht noch Verluste aus 2023 zu begleichen.
Bei all dem werden nicht die Vorhaltekosten berücksichtig, die wir derzeit haben, um die Menschen, die wöchentlich zu uns kommen unterzubringen. Beispielsweise haben wir über Monate hinweg ein Zelt vorgehalten, das nur mit 200 Leuten belegt war. Diese Vorhaltekosten würde ich gerne umsetzen, aber die sogenannte Flüchtlingspauschale reicht dafür nicht aus.
Aus dem Plenum
Mit dem neuen Migrationspaket haben alle Menschen, die zuwandern, Anspruch auf einen Sprachkurs. Wie stellt sich der Landkreis dazu auf?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Wenn es einen Rechtsanspruch dazu gibt, dann muss der, der den Rechtsanspruch schafft, die Voraussetzungen schaffen, das heißt, er muss das alles finanzieren.
Aus dem Plenum
Das heißt, Sie warten ab.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Im Augenblick wird jede Woche ein neues Gesetz angekündigt. Wir werden sehen, was darin steht und dann die Frage der Finanzierung klären.
Aus dem Plenum
Sie haben die Herausforderungen dargestellt, aber man hat nichts Visionäres oder Gestalterisches gehört.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Ich glaube, es ist sehr gestaltend, dass wir es im Augenblick schaffen, alle Leute unterzubringen. Die Vervielfachung der Fallzahlen führt dazu, dass wir derzeit ausschließlich die Realität gestalten können und Realitätsgestaltung heißt, dass wir die Menschen menschenwürdig unterbringen müssen.
Die Vision ist die, die Menschen aus den Unterkünften in die Kommunen zu bekommen und wenn wir uns als Verwaltung etwas wünschen dürften, wäre es, neu Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, sodass wir neben der Leistungsgewährung auch wieder die Betreuung der Menschen organisieren können.
Davon sind wir im Moment meilenweit weg, aber mit unseren Partnern, der Caritas, mit Kubus und durch ehrenamtliche Hilfe bekommen wir das hin.
Aus dem Plenum
Ich habe den Vortrag so verstanden, dass mit einer anderen Brille auf die Situation geguckt und Diversität als Gestaltungsraum gesehen werden soll. Das habe ich hier [bei der Diskussion] noch nicht gesehen.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Ich muss nicht betonen, dass Migration eine Chance ist.
Doch die Vision muss sein, dass Integration auch dort stattfindet, wo sie hingehört und das ist in den Kommunen. Dann läuft sie auch von selbst. Der Kreis dagegen ist ein Rechtsgebilde.
Aus dem Plenum
Ich würde gerne etwas als kommunaler Mitarbeiter dazu sagen.
Wir reden hier nicht von einem nebeneinander im Sinne von da ist der Kreis, da ist die Kommune, da ist das Land. Es gibt eine Verzahnung zwischen den Akteuren und das darf man nicht vergessen. Beispielsweise erstellt die Bildungskoordination für Neuzugewanderte des Kreis Bergstraße eine Liste über die Angebote vor Ort.
In der Diskussion wurde die Kreissicht geschildert, aber die Vision ist da und die Netzwerkarbeit vor Ort geht weiter.
Aus dem Plenum
Meine Anfrage ging ja direkt an den Kreis.
Aus dem Plenum
Der Kreis wird ja auch irgendwann wieder dazu stoßen, aber gerade konzentriert er sich auf diese Aufgabe [Unterbringung und Erstversorgung].
Abteilungsleiter des Ausländer- und Migrationsamts Adam Schütz
Ich habe festgestellt, dass sich die Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen seit 2015/16 verändert hat. Zu dieser Zeit gab es noch mehr Helfer, aber einige haben sich zurückgezogen, als sie merkten wie hoch der Aufwand ist.
Die Zusammenarbeit war nicht einfach, da zwei Welten aufeinandergeprallt sind: eine Behörde und ein Flüchtlingshelferkreis. Mit der Zeit hat sich das allerdings gut eingespielt.
Ich kann Ihnen nur anbieten, dass wenn Bedarf besteht und wir eingeladen werden, auch kommen und Ihre Fragen beantworten.
Direktorin des Caritasverbands Darmstadt e. V. Stefanie Rhein
Zum Thema Vision habe ich an unser Franziskushaus in Bensheim gedacht. Wir alle haben nicht unendlich Mittel und Ressourcen, aber unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen kreativ damit um. Im Franziskushaus ist ein Begegnungscafé entstanden, zu dem jeder kommen kann. Da es immer wieder Beratungsbedarf gab, ist nun immer eine Kollegin aus der Migrationsberatung dabei. Das ist sinnvoller als für jeden Fall einen Termin zu vereinbaren.
Die Herausforderung besteht also darin, mit den Ressourcen umzugehen, die uns zur Verfügung stehen und miteinander im Gespräch zu bleiben. Wir müssen Kreativwerkstatt werden und uns fragen, wer was machen kann. Nur durch dieses Miteinander kann Integration gelingen.
Ich glaube nicht, dass es von selbst läuft, wenn die Menschen in der Kommune untergebracht sind, sondern wir müssen uns weiterhin anstrengen, Offenheit und Bereitschaft zeigen.
Aus dem Plenum
Ich glaube, ein großes Problem sind die Prozesse in der Verwaltung und der abgeschottete Teil der Verwaltung.
Beispielsweise haben jetzt wesentlich mehr Menschen Anspruch auf Wohngeld. Allerdings bearbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit denselben Methoden und Ideen diese Anträge, die nur auf einen Bruchteil der Menschenmenge ausgelegt sind.
Daher müssen wir die Prozesse verändern und Mechanismen schaffen, die es den Behörden erlauben, Daten auszutauschen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden sind nur dabei, die Mengen abzuarbeiten und das Ehrenamt kann das nicht auffangen. Es gab beispielsweise Fälle von Menschen, deren Miete drei Monate lang nicht bezahlt wurde, weil der Antrag beim Jobcenter auf einem Stapel lag und der Mensch nur endliche Ressourcen hat. Wenn diese Personen ihre Wohnung verlieren, müssen sie irgendwo untergebracht werden und das schafft neue Probleme.
Sich jetzt über Visionen zu unterhalten ist so, als ob man auf einem Schiff, das gerade untergeht darüber spricht, wie man die nächste Party feiern will und das passt nicht.
Aus dem Plenum
Beim Jobcenter haben wir Anfang Oktober ein Schreiben mit sämtlichen Kontoauszügen abgegeben. Zurück kam ein Schreiben, dass zwölf Kontoauszüge fehlen. Die sind jedoch im Stapel verschwunden und die betroffene Person muss zwei Euro pro Auszug bezahlen. Gleichzeitig wurde zum dritten Mal innerhalb von sechs Monaten die Miete nicht überwiesen und dabei sind die Menschen von diesem Geld abhängig.
Stellvertretender Betriebsleiter des kommunalen Jobcenters Neue Wege Peter Schmiedel
Ich stelle mich mit breitem Kreuz vor meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fehler passieren, auch wenn sie nicht passieren sollen. Bei der aktuellen Lage, ist es aber schwierig, alle Bälle in der Luft zu halten.
Ich animiere Sie dazu, uns direkt anzusprechen, dann gehen wir diesen Fällen nach.
Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen einen riesen Job, aber wir werden derzeit von Arbeit erschlagen.
Fehler passieren, aber wir lösen sie - und zwar alle.
Moderator
Das Thema Wohnen hat sich als großes Problem herauskristallisiert. Können Sie sich vorstellen, auf Kreisebene eine Stelle einzurichten, die Wohnungsangebote und -gesuche erfasst, sich um Anliegen von Vermieter und Mieter kümmert und im Streitfall schlichtet?
Sachgebietsleiter Team Flüchtlinge und Spätaussiedler Daniel Maas
Wir [Team Flüchtlinge und Aussiedler] sind für Asylbewerberinnen und Asylbewerber zuständig und die müssen erst einmal in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Daher ist das Thema bei uns nicht unbedingt angesiedelt.
Das liegt bei den Kommunen, denn die wissen eher, bei wem eine Wohnung leer steht.
2016 hatten wir bereits so eine Stelle, allerdings mit geringem Erfolg, aus den eben beschriebenen Gründen.
Das wäre also vom Team Flüchtlinge und Spätaussiedler nicht so zu leisten.
Moderator
Wenn die Menschen ihre Unterkunft verlassen und sich eine Wohnung suchen müssen, stehen sie oft allein da und sind auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Gibt es Möglichkeiten, sie in dieser Situation zu unterstützen?
Sachgebietsleiter Team Flüchtlinge und Spätaussiedler Daniel Maas
Wir beraten die Menschen nach bestem Wissen und Gewissen. Der große Zustrom hat die Kapazitäten dafür jedoch auf ein Minimum reduziert. Wir müssen wöchentlich 80 Personen aufnehmen, 80 Fälle eingeben und 2.300 Personen die schon bei uns leben ausbezahlen. Deswegen bin ich derzeit nicht dafür, so eine Stelle zu schaffen.
Wir brauchen jede Woche 700 Quadratmeter Wohnraum und 2015/16 ist unser Landkreis mit den Unterkünften an die Kapazitätsgrenze gegangen, was wir jetzt merken. Ich bin seit anderthalb Jahren dabei, neue Unterkünfte zu suchen und Herr Schimpf seit August dieses Jahres [2022] ebenfalls. Wir haben sehr viele Kontakte, aber die Ressourcen sind erschöpft.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Das ist die Situation, auch wenn es hart klingt. Allerdings kommen alle Landkreise in Hessen gerade an ihre Grenzen.
Aus dem Plenum
Gibt es ein Licht am Ende des Tunnels. Gibt es Wohnungen für die Familien?
Aus dem Plenum
Die gibt es eben nicht.
Aus dem Plenum
Ich habe eine wichtige Anmerkung. Ich bin seit 2015 hauptamtlich in meiner Kommune tätig. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Aufgabe der Stadt und es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass wir der verlängerte Arm des Kreis Bergstraße sind. Es ist aber schwierig, dass nicht deutlich ist, was für eine Zuständigkeit die Kommune hat und wofür der Kreis Bergstraße zuständig ist.
Auch wenn meine Vision mit Wunschdenken verbunden ist, muss ein Krisenmanagement her, eine klare Konzeption, damit es geregelte Zuständigkeiten und Abläufe gibt.
Kann das bei der Bürgermeisterdienstversammlung geklärt werden?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber zuvorderst auch eine Aufgabe der Kommune. Der Kreis setzt dafür lediglich die Rahmenbedingungen. Laut Gesetz sind wir für das Ausländerrecht und Flüchtlingswesen zuständig, aber die Integration findet in den Kommunen statt. Das wissen auch die Bürgermeister. Klar, die Debatte ist immer unschön, weil so etwas Geld kostet, weswegen immer ein anderer zuständig sein soll, aber möglichst wenig Kreisumlage und möglichst alle Aufgaben erfüllen [durch den Kreis] – das funktioniert nicht.
Aber ich bin guten Mutes, dass wir irgendwann zum Ziel kommen.
Aus dem Plenum
Wäre es auch denkbar, so etwas [die Aufgabenverteilung] auf einem Schriftstück festzuhalten?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Bürgermeister sind direkt gewählt und – egal was geschrieben steht – liegt es im Wesen der Kommune, wie sie damit umgehen. Ich kann ihnen nicht vorschreiben was sie zu tun haben, da die kommunale Selbstverwaltung dem entgegensteht.
Wir müssen versuchen Rahmenbedingungen zu setzten und die Leute vor Ort zu unterstützen, aber die Umsetzung liegt in den Händen der Kommunen.
Aus dem Plenum
Können die Kommunen einen besseren Zugang zu den Ämtern [der Kreisverwaltung] bekommen? Als verlängerter Arm des Kreises können die Kommunen viele Fragen abfangen.
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Nein. Es gibt klare Zuständigkeiten und alle Fragen sind an uns zu richten. Sie werden in der Reihenfolge bearbeitet, wie sie eingehen und dringenden Fällen wird ebenfalls hinterhergegangen.
Es gibt nichts was in unserer Zuständigkeit liegt und die Kommune für uns machen kann.
Abteilungsleiter des Ausländer- und Migrationsamts Adam Schütz
Wenn Bedarf besteht, kann ich jederzeit angemailt werden, wir machen einen Termin aus und klären Fragen.
Wir vergeben Termine, die aber für 45.000 Ausländer nicht ausreichen. Die Corona- und die Ukraine-Krise haben die Situation verschärft. Wir schleppen viel vor uns her und das müssen wir abarbeiten.
Aus dem Plenum
So, wie ich das verstehe könnten die Kommunen Sachen gebündelt weitergeben, allerdings haben sie – genauso wie die Kunden – sehr wenig Kontakt zu den Behörden. Warum können die Behörden nicht untereinander Informationen weiter geben?
Hauptamtlich Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf
Der Grund heißt Datenschutz. Es gibt Grenzen dessen, was wir können und dürfen.
Moderator
Danke für Ihre Zeit und die Teilnahme.